Goldene Pagoden und gelassene Menschen
Reiseeindrücke aus Myanmar
Nikolaus Birkl war im Februar in Myanmar und hat eine Reihe von Eindrücken und Erkenntnissen mitgebracht aus dem Land der vergoldeten Pagoden, die auch die Themen der Akademie der Muße berühren. „Überall wo Menschen leben, ist ein Kloster nicht weit. Die burmesischen Familien senden die Kinder mit ca. 6 Jahren für ein paar Tage in ein Kloster, dann gehen sie mit ca. 12 Jahren für ein paar Wochen, mit ca. 16 Jahren für ein paar Monate und oft auch freiwillig als junge Erwachsene für ein Jahr oder mehr in ein solches Kloster. Sie werden dort in den buddhistischen Lehren unterwiesen, lernen zu meditieren und zeitweise in Stille zu leben. Eine solche Spiritualität prägt die ganze Gesellschaft, das ganze Land“, berichtet Birkl.
Eine andere Welt und ganz andere Wirklichkeiten umgaben uns, verzauberten uns, erschreckten uns und faszinierten uns. Ich reiste im Februar mit meiner Frau Clara und einem befreundeten Ehepaar drei Wochen durch Myanmar (ehem. Burma oder Birma). Eine junge Burmesin („Eí“), die in Yangoon an der Universität deutsch studiert hatte, begleitete uns auf der gesamten Reise. Wir baten sie bereits bei der Ankunft, uns möglichst viel mit der Bevölkerung in Kontakt zu bringen und uns eher Landestypisches als Touristisches zu zeigen.
Wir reisten von Yangoon, der Hauptstadt, deren Straßenbild (typisch für Schwellenländer) beginnenden Bauboom und mit Plastikmüll verdreckte Ecken, aber auch eine Menge Garküchen und asiatische Märkte zeigt, nach Norden in die zweite Großstadt Mandalay mit Amirapura und der längsten Teakbrücke der Welt. Von dort ging es weiter nach Norden teils mit dem Auto, teils mit einer abenteuerlichen Eisenbahn (60 km in 4,5 Stunden) und dann in einem ca. 1 m breiten Boot in den sog. Shan-Staat. Eí führte uns zu Fuß in ein einsames Kloster aus Holz und in kleine Dörfer, in denen wir Hellhäutigen noch bestaunt wurden. Wir konnten auf einem kolonialistisch anmutenden Schiff (Baujahr 1924) zwei Tage eine Fluss-Kreuzfahrt auf dem Irrawaddy genießen und wir waren natürlich in dem weltberühmten Bagan mit seinen mehr als 1.000 Pagoden, wir waren an dem berühmten Inle-See mit seinen schwimmenden Gärten und dann auch noch „am Strand“.
Aber von all dem will ich eigentlich nicht berichten. Berichten will ich von den Menschen, den Begegnungen und dem tiefen Eindruck, den sie in uns hinterlassen haben. Die Menschen sind arm und das hat mich anfangs erschreckt, ich wusste es und war dennoch nicht darauf gefasst. Sie leben zumeist in Bambus- oder Holzhütten ohne Elektrizität. Gekocht wird über Holzfeuer. Hin und wieder sahen wir ein einsames Solar-Panel, das zum Laden der Smartphones (!) diente und auch nicht mehr viel mehr Strom liefern konnte. Auf unserer gesamten Reise sahen wir einen einzigen Traktor, die Felder und Äcker werden von Hand bzw. mit einem Wasserbüffel oder Zebu (asiatisches Buckelrind) vor dem Pflug bewirtschaftet. Und alle Menschen winken auch von weiter her fröhlich, wenn man vorbeikommt, sie lachen herzlich, wenn man zurückwinkt. In den kleinen Garküchen auf dem Land waren wir willkommen, wir sollten alles probieren und Eí beriet uns umsichtig. Wir sollten plötzlich an einer Familienfeier teilnehmen, mitessen, dabei bleiben, – nur weil wir gerade vorbei gekommen sind…
Eí führte uns in verschiedene Handwerksbetriebe, es waren kleine Webereien mit 8 bis 10 Webstühlen, an denen zumeist Familien tätig waren. Alte Frauen saßen an Spinnrädern und sie sprach mit ihnen: sie erzählten, sie müssten nicht mehr arbeiten, aber zuhause sei ihnen langweilig und da wollten sie sich doch nützlich machen. Marmor wird im Freien unter riesiger Staubentwicklung zu Buddha-Figuren bearbeitet, ohne Atemschutz und irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen, das war erschreckend. Blattgold wird mit großen Hämmern von muskulösen Männern aus kleinen Goldbarren geschlagen und dann verkauft: die Burmesen kleben dieses hauchdünne Blattgold bei ihren Tempelbesuchen an Buddha-Statuen oder an andere verehrte Symbole ihres Glaubens.
Das Land ist nicht nur mit zumeist vergoldeten Pagoden und Stupas (schlanke Pagoden) überzogen, die man überall in allen Himmelsrichtungen sieht, es ist auch mit vielen buddhistischen Klöstern (Mönche und Nonnen) durchsetzt. Überall wo Menschen leben, ist ein Kloster nicht weit. Die burmesischen Familien senden die Kinder mit ca. 6 Jahren mit einer großen Familienfeier (siehe Foto, das war eine solche) für ein paar Tage in ein Kloster (mit Haare-Scheren und Mönchs-/Nonnengewändern), dann gehen sie mit ca. 12 Jahren für ein paar Wochen, mit ca. 16 Jahren für ein paar Monate und oft auch freiwillig als junge Erwachsene für ein Jahr oder mehr in ein solches Kloster. Sie werden dort in den buddhistischen Lehren unterwiesen, lernen zu meditieren und zeitweise in Stille zu leben. Aber viele Zeiten am Tag dienen auch der Lebensfreude, dem Spiel und dem Spaß. Da geht es zum Teil sehr laut und übermütig zu, wie wir miterleben konnten. Mönche und Nonnen gehen an zwei Tagen pro Woche „betteln“, man sieht sie mit Schalen von Haus zu Haus gehen. Sie bekommen von der – selbst nicht reichen – Bevölkerung großzügig gespendet. Sie nehmen die Spende regungslos entgegen und bedanken sich nicht. Im Gegenteil: der Spendende bedankt sich bei dem Mönch oder der Nonne dafür, dass er spenden durfte. Ein tiefer Sinn! Die Mönche und Nonnen ihrerseits geben bei jeder Mahlzeit von ihrem Essen einen Teil den wirklich Armen und Bedürftigen, die dann an den Klöstern warten.
Und all das hat mich am meisten beeindruckt. Ich glaube, dass eine solche Struktur eine Gesellschaft prägt. Der Chefkoch eines größeren Hotels, selbst Europäer und in allen Teilen der Welt schon als Koch gewesen, sagte uns, dass es in den sechs Jahren, die er dort ist, in der Küche noch nie ein böses oder gereiztes Wort oder wirklichen Stress gegeben habe, die Menschen helfen sich und springen ein, wo es nötig ist. – Er will dort bleiben.
Natürlich gibt es auch in Myanmar Streit und sicher auch Gehässigkeiten und ganz sicher herrscht dort nicht der Himmel auf Erden. Es gab in der sich öffnenden Militärdiktatur Unruhen, mit der kleinen moslemischen Minderheit ganz im Norden gehen die Burmesen sehr unfreundlich um (vornehm formuliert) und gerade im Shan-Staat sind immer wieder separatistische Tendenzen spürbar. Und natürlich hat uns Eí auch ein von ihrer eigenen Wirklichkeit – sie ist gläubige Buddhistin – gefärbtes Bild vermittelt.
Aber dennoch, diese glückliche und offene Freundlichkeit, ja Herzlichkeit, die uns überall begegnet ist, dieses nicht nur meteorologisch (30°-35° C) warme Klima, die Anmut und auch Schönheit so vieler Menschen wird unvergesslich bleiben.
Ja, man kann mit wenig glücklich sein.
Dr. Nikolaus Birkl