Wir brauchen einen Paradigmenwechsel

Interview mit Dr. Johannes Zwick über betriebliches Gesundheitsmanagement

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Gesundheitsmanagement von Unternehmen zu übernehmen – können die das nicht selbst?

Wir haben in der Johannesbad Gruppe festgestellt, dass betriebliches Gesundheitsmanagement in vielen Firmen entweder furchtbar bürokratisch abläuft, dass nur Vorgaben abgearbeitet werden ohne Blick dafür, wo eigentlich die Probleme liegen. Oder es gibt einen Betriebsarzt, der führt aber oft eine Nischenexistenz und wird nur gerufen, wenn es zu spät ist. Manchmal ist das Thema hoch aufgehängt, beim Personalvorstand etwa, dann läuft es in der Regel auch gut. Meistens aber wissen die Manager gar nicht, wo die wahren gesundheitlichen Probleme in ihrem Unternehmen liegen.

Welche sind das nach Ihrer Erfahrung?

Es ist der zunehmende Zeitdruck, gepaart mit schlechten internen Kommunikations- und Konfliktkulturen. Das erzeugt dann in der Kombination den schädlichen Stress. Gerade das mittlere Management ist oft einem Druck ausgesetzt, von dem die Führungskräfte ganz oben gar keine Ahnung haben.

Das heißt, die Chefs sind nicht interessiert an der Gesundheit ihrer Mitarbeiter?

Das würde ich nicht sagen. Die großen DAX-Unternehmen sind meistens sehr gut aufgestellt, schon wegen des Einflusses der Betriebsräte und der Gewerkschaften. Aber in mittleren oder kleineren Unternehmen hören wir häufig: bei mir ist keiner krank. Das hat in der Regel weniger mit Ignoranz, sondern häufig mit fehlenden Informationen über den Zustand der Belegschaft und weniger offensichtlichen Krankheitsbildern, wie beispielsweise psychische Erkrankungen zu tun. Wenn die Nase läuft, dann sieht man das, ein schleichend beginnender burn-out ist schon etwas anderes.

Wie erklären Sie diesen Unternehmern, dass sie sich da wohl irren?

Es braucht schon einen Paradigmenwechsel. Immer noch funktionieren in Deutschland viele Manager im alten System, wonach Präsenz gleichbedeutend mit Leistung war und nur maximal geforderte Mitarbeiter etwas taugten. Deshalb hat ja der Begriff „Burnout“ einen geradezu positiven Klang: da hat einer alles gegeben und sich völlig ausgebrannt für das Unternehmen. Das ist natürlich Unsinn, und die Firmen merken heute, dass sie davon nichts haben. Ein kranker Mitarbeiter – ob äußerlich oder innerlich krank – nutzt dem Unternehmen nichts. Im Gegenteil: er kostet sie oft sehr viel Geld. Das sehen heute zum Glück immer mehr Chefs so und beginnen sich Gedanken zu machen, wie sie sich vorsorglich kümmern können.

Und dieses Kümmern nehmen Sie ihm ab? Was macht Ihr Unternehmen?

Zunächst beraten wir die Unternehmen ganz individuell über alle Aspekte des Gesundheitsmanagements hinweg. Ein jedes hat seine eigenen Problemfelder, seine eigene To-do-Liste. Was uns von Unternehmensberatern unterscheidet, ist, dass wir dann auch die Arbeit übernehmen und die Konzepte umsetzen, die wir erarbeitet haben. Wir verfügen in der Johannsbad Gruppe über medizinische Expertise und Erfahrung in den relevanten Bereichen und betreiben selber medizinisch-therapeutische Einrichtungen. Das macht uns einzigartig, denn so können wir Unternehmen das Gesundheitsmanagement komplett abnehmen.

Worauf kommt es beim Gesundheitsmanagement besonders an?

Wichtig ist es, dass man Körper und Geist als Einheit sieht. Es ist noch nicht so lange her, dass man viel zu lange an körperlichen Symptomen herumdokterte. Gesundheitsmanagement ist aber viel mehr als ein bißchen Rückenschule. Erst seit wir im Zuge der Burnout-Diskussion bereit sind, seelische Probleme am Arbeitsplatz zu thematisieren, hat sich dieser Blick auch auf Seiten der Arbeitgeber geweitet. Gefordert in den Unternehmen ist ja immer häufiger der Geist, die Stress-Resistenz, die Fähigkeiten, Konflikte zu regeln. Für diese Aspekte haben wir eine Reihe sehr innovativer Angebote entwickelt als Gruppen- oder Einzelmaßnahmen, ambulant oder stationär.

Welche Fehler machen Unternehmen, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter betreffend?

Dass sie nicht wirklich hinschauen. Dass sie zwar vorgeben, Mitarbeiter zu führen, dass sie aber im Grunde nur mit einem sehr engen Blickwinkel auf die Mitarbeiter schauen: speziell wie es ihnen insgesamt ergeht, wie sie mit bestimmten Situationen, mit Stress, mit Konflikten umgehen. Wir brauchen eine neue Management-Kultur, die den Menschen wieder in den Blick nimmt. Law and Order ist vorbei.

Da bringen Sie wahrscheinlich auch einige Unruhe in Unternehmen rein, wenn Sie solche Themen angehen?

Eigentlich nicht, denn wenn die offenen, innovativen Unternehmen den Handlungsbedarf im Management erkannt haben, dann rennen wir bei der Belegschaft meist, sozusagen, offene Türen ein. Manchmal muss etwas Unruhe dann schon sein, weil das Unternehmen die Veränderung braucht. Wenn übergroße Teile der Belegschaft krank sind oder demotiviert am Arbeitsplatz sitzen, muss das Unternehmen handeln. In der Regel setzen wir aber nicht an diesem Punkt an, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern vorne bei der Prävention.

Welches Potenzial haben Konzepte wie „Muße“ im Unternehmensalltag?

Ich sehe dafür ein enormes Potenzial. Der Rhythmus aus An- und Entspannung ist dem Menschen ja immanent, dauernd durchpowern, das geht nicht. Und es ist schon so, dass Firmen heute zu Zeiten von Vollbeschäftigung in einigen Branchen ein erhebliches Interesse daran haben, gute Mitarbeiter zu halten und neue zu finden. Das ist für die Johannesbad Gruppe schließlich bereits vor 40 Jahren der Grund gewesen, unsere eigenen Bildungseinrichtungen aufzubauen. So neu ist die Lage somit auch wieder nicht. Im Grunde sind die Unternehmen heute die „Bewerber“ um Arbeitskräfte, und die schauen sich ihre möglichen Arbeitgeber in Zeiten von Social Media und Bewertungsportalen immer genauer an, weil auch die Transparenz höher geworden ist. Da werden die so genannten weichen Faktoren immer wichtiger, und zu denen zählt auch die richtige Work-Life-Balance.

Heißt das, jetzt kommen Ruheräume und Schlafliegen im Unternehmen?

Warum nicht? Die Pause, die Erholung am Tag, der Mittagsschlaf – oder neudeutsch: power nap – sind ja nur in unserer Arbeitskultur verpönt, in anderen, etwa in Asien, gang und gäbe. Wenn er solche Möglichkeiten schafft, muss der Vorstand aber vorangehen und sich als erstes zum Schlafen hinlegen, sonst klappt das nicht.

Was haben die Unternehmen davon am Ende?

Die Frage geht anders herum: was verlieren Sie, wenn Sie sich nicht um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter kümmern: dann hat der Mittelstand in wenigen Jahren keine Fachkräfte mehr.

Interview: Gerd Henghuber