Symposion zum Thema „Würde“ am 16.07.2018
von Anselm Bilgri
Würde (von althochdeutsch wirdî; mittelhochdeutsch wirde) ist sprachgeschichtlich verwandt mit dem Wort „Wert“ und bezeichnete anfänglich den Rang, die Ehre, das Verdienst oder das Ansehen einer einzelnen Person. (bei den Römern: dignitas bzw. auctoritas)
Umgangssprachlich hat Würde unterschiedliche Bedeutungen:
Im allgemeinen Sprachverständnis bezeichnet Würde den Achtung gebietenden Wert eines Menschen und die ihm deswegen zukommende Bedeutung.
Von Würde im Sinne von Erhabenheit spricht man im Zusammenhang von Ritualen, Institutionen und dergleichen („eine würdige Feier“, „die Würde des Staates“).
Von Würde wird auch im Zusammenhang mit einem Titel, bestimmten Ehren und/oder hohem Ansehen verbundenen Ämtern gesprochen (vgl. die „Würde des Amtes“, etwa des Bundespräsidenten, die „nicht beschädigt werden darf“). Dementsprechend werden besonders im gehobenen Sprachgebrauch die Träger besonderer weltlicher wie geistlicher Ämter als Würdenträger bezeichnet.
Was als würdig oder nichtswürdig (würdelos, schändlich) empfunden wird, ist weder allgemein definierbar noch konstant, sondern unterliegt wie alle Wertvorstellungen ständigem sozialen Wandel. Vgl. dazu immerhin Friedrich Schillers Gedicht Würde der Frauen. Welches eigene Verhalten ein Mensch als mit seiner Würde vereinbar ansieht, ist individuell verschieden.
Die Tätigkeit, einer Person die Würde zuzusprechen oder diese anzuerkennen, wird als (das) Würdigen oder (die) Würdigung bezeichnet.
Umgangssprachliche Redewendungen sind etwa: Das ist unter meiner Würde. Da wird die Würde mit Füßen getreten.
Der Unterschied zu Ehre oder Ruhm ist zu beachten: Während Ehre und Ruhm einen äußeren, etwa durch eine Gesellschaft vermittelten Wert darstellen, liegt der Wert der Würde im Inneren eines jeden Menschen selbst.
Das Christentum interpretiert die alttestamentliche Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes und von seiner Vorrangstellung unter Gottes Geschöpfen traditionell dahingehend, dass seine Würde gottgegeben und nicht verlierbar ist. Sie komme jedem Menschen als solchem zu und sei mithin unabhängig von Lebensumständen oder Verhalten.
Derjenige, der den Begriff der Würde des Menschen (lat. dignitas hominis) als erster formuliert, ist der Renaissance-Philosoph Giovanni Pico della Mirandola. Die Würde des Menschen gründet nach Pico della Mirandola darauf, dass, zugespitzt formuliert, die Natur des Menschen darin liegt, dass er keine (festgelegte) Natur hat, dass, mit anderen Worten, er die Freiheit hat, sein Wesen selbst zu schaffen. Den Schöpfer lässt Pico zu Adam sagen: „Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen.“ Diese Selbstbestimmung des Menschen macht, nach Pico, seine Würde aus.
Seit der Aufklärung wurde im Unterschied zur vorherigen konkreten Bedeutung mit „Würde“ verstärkt ein abstrakter sittlicher, moralischer Wert bezeichnet, der letztlich eine Qualität des Handelns (Würde als Gestaltungsauftrag) oder, noch abstrakter, eine den Menschen allgemein immanente Eigenheit (Würde als Wesensmerkmal) bezeichnet. Damit verband sich oft der Gedanke eines Gestaltungsauftrags, der durch das Individuum und die Gesellschaft zu verwirklichen ist.
An das Individuum gerichtet, findet dies Ausdruck bei Friedrich Schiller in Über Anmut und Würde (1793): „Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung. Auch die Würde hat ihre verschiedenen Abstufungen und wird da, wo sie sich der Anmut und Schönheit nähert, zum Edeln, und wo sie an das Fruchtbare grenzt, zur Hoheit. Der höchste Grad der Anmut ist das Bezaubernde, der höchste Grad der Würde ist Majestät.“
Friedrich Schiller sieht in der Würde den Ausdruck einer erhabenen Gesinnung. Dabei sieht Schiller im freien Willen des Menschen den entscheidenden Unterschied zum Tier,
Schiller sah die Würde indes nicht als idealistische Träumerei, sondern aufbauend auf der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und der Überwindung materieller Not (vergleiche sein 1797er Distichon Würde des Menschen):
„Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“
Eine Formulierung für die nicht-verrechenbare Würde des Menschen als solchen ist die Formulierungsvariante des obersten Moralprinzips Kants (sog. Kategorischer Imperativ), Menschen je (immer auch) als Zweck an sich selbst (also nie nur als Mittel zu einem davon absetzbaren, relativen Zweck) zu behandeln.
Fast synonym zu Schillers Epigramm über die Würde des Menschen schrieb Bertolt Brecht in seiner Dreigroschenoper: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Er unterbreitet in seinem Text Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit den Vorschlag, das Wort „Ehre“ durch das Wort „Menschenwürde“ zu ersetzen, und weist damit auf den fundamentalen Unterschied zwischen beiden Prinzipien hin: Die Ehre ist etwas Äußeres, die Würde etwas Inneres.
Der Schweizer Philosoph Peter Bieri versteht die Würde nicht mehr als eine metaphysische Eigenschaft des Menschen, die ihm von niemandem und unter keinen Umständen genommen werden kann. Vielmehr interpretiert er die Menschenwürde als eine bestimmte Art der persönlichen Lebensführung, die auch misslingen kann. Damit verweist er auch auf die Gefahr eines Würdeverlustes. Diesen versteht Peter Bieri als die sadistisch intendierte, demonstrierte Ohnmacht eines Menschen. In eine solche Situation der Ohnmacht kann ein Individuum nicht nur durch den Einfluss seiner Mitmenschen, sondern auch gänzlich selbstverschuldet geraten. Entwürdigung entsteht damit auch durch bestimmte Fehler bei der eignen Lebensführung. Auf der anderen Seite ist allerdings auch die Frage, inwieweit sich ein Mensch aus einer Ohnmachtssituation selbst befreien kann, von seinen eigenen Handlungen abhängig. In seinem philosophischen Essay „Eine Art zu leben – Über die Vielfalt menschlicher Würde“ versteht Bieri Würde zugleich auch als notwendige Bedingung für ein glückliches Leben.
Menschenwürde
Verfassungsrecht: Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Sie wird als unveränderliches (vorkonstitutionelles) Grundrecht des Menschen angesehen und beginnt mit seiner Zeugung (Nidation). Die Würde des Menschen ist unmittelbar geltendes Recht, nicht nur eine Absichtserklärung. Sie ist der oberste Wert des Grundgesetzes. Darüber hinaus sollen die allgemeinen Menschenrechte ein würdevolles Dasein sichern. Die Menschenwürde wird somit einerseits zum „tragenden Fundament der Menschenrechte“, andererseits auch zu deren höchstem Ziel und wenn auch vielleicht unerreichbaren Ideal. Für Franz Josef Wetz besteht weltanschauungsneutral (insoweit möglich) „der wahre Gehalt menschlicher Würde in verwirklichten Menschenrechten – einem Leben in körperlicher Unversehrtheit, freiheitlicher Selbstbestimmung und Selbstachtung sowie in sozialer Gerechtigkeit“.
Der strafrechtlich bewehrte „Schutz der Totenruhe“ in Deutschland geht implizit davon aus, dass der Mensch auch als Toter eine Würde hat (so 2005 in der Strafrechtsprechung anlässlich eines Falles von Kannibalismus).
Tierwürde
Der Begriff der Würde ist auch in rechtlichen Festlegungen keineswegs auf den Menschen beschränkt. Auch Tieren wird eine Würde zugesprochen. Im Art. 120 in der Schweizer Bundesverfassung.
Würde von Pflanzen
Seit 1999 werden im Artikel 120 Abs. 2 der Schweizer Bundesverfassung die Pflanzen miteingeschlossen, was den Pflanzenrechten Gestalt gibt.
Quellen: Brockhaus, LThK, Wikipedia, vgl. Gerald Hüther: Würde