Symposion am 21.11.2016 im Conti Bistro „Tiroler Stube“
Das Symposion im einmalig anderen Veranstaltungsort stand dieses Mal unter dem Titel „Empörung“. Lesen Sie hier den ungekürzten Impuls von Dr. Nikolaus Birkl:
Wulff, VW, Orban, Edathy, Putin, Hoeneß, Schwarzer, Missbrauchs-Skandal, Ecclestone, Erdogan, Pegida, Merkel, Panama-Papers, Scheuer, Seehofer, Trump, Mauern, Zäune, Neuperlach usw. usw.. War für Sie auch etwas dabei? Wenn nicht, schauen Sie einfach in die Zeitung und Sie finden etwas, worüber Sie sich empören können!
Empörung bringt uns auf die Barrikaden, ergreift, erregt und erzürnt uns. In dem Wort „Empörung“ steckt „empor“, es kommt in uns etwas nach oben, steigt in uns auf und will heraus. Der mittelhochdeutsche Wortstamm „bor“ bedeutete „Trotz“, sich „enboeren“ hieß sich auflehnen, sich erheben. So hat man noch im vergangenen Jahrhundert unter „Empörung“ nicht nur eine emotionale Verfassung, sondern auch einen Aufstand, eine Rebellion verstanden.
Investigativer Journalismus recherchiert mehr oder weniger sorgfältig, deckt etwas Normwidriges auf und veröffentlicht es. Die Masse der Medien recherchiert dann gar nicht mehr, kopiert die Nachricht und lädt sie mit Meinungen und Kommentaren emotional auf. Dicke und fette Zeilen seigern die Auflagen. So wird fast jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Es ist, wie wenn uns ständig zugerufen wird: „Empört Euch!“ Und wir tun es. Warum? Und bald vergessen wir es wieder. Warum?
Im beruflichen Umfeld wird kolportiert, dass „der“ oder „die“ „das“ oder „jenes“ gesagt, getan, ausgedrückt oder – umgekehrt – nicht kommuniziert hat. Auch das wird als empörend gewertet und wir empören uns: „Jeder würde sich da empören!“ Warum?
Auch im privaten Umfeld finden wir genug, worüber wir uns „zurecht“ empören könnten und wir tun es. Warum? Wo kommt diese latente Bereitschaft in uns zur Empörung her? Könnte uns nicht Vieles auch einfach egal sein, weil es uns nicht wirklich betrifft?
Ich glaube, der Grund liegt tief in uns verborgen, es ist die Art, wie wir auf die Welt blicken: Die Dinge sind und bleiben, wie sie sind, und wenn sie sich verändern, ist das zumindest bemerkenswert, wenn nicht beunruhigend. In dieser Haltung leben wir in einer Welt, die wir uns (scheinbar) sicher gemacht haben: alles soll seine gewohnte Ordnung haben, es gibt Normen und wir verlassen uns darauf, dass sie grundsätzlich von allen eingehalten werden. Aber es sind die von uns in uns konstruierten Erwartungen, die uns vorspiegeln, wir seien auf alle Ereignisse vorbereitet, wir seien gewappnet. Wenn dann etwas aus der Ordnung gerät, wenn sich jemand „daneben“ (!) benimmt, wenn etwas „Außer–ordentliches“ (!) geschieht, empfinden wir ein Gefühl von Unsicherheit, ein von vielen Menschen als unangenehm wahrgenommenes Gefühl.
Und unangenehme Gefühle möchten wir vermeiden, sie erst gar nicht aufkommen lassen und – wenn doch – schnell wieder loswerden. Eine hochwirksame Möglichkeit, dieses unangenehme (angstorientierte) Gefühl von Unsicherheit zu „covern“, es schnell wieder loszuwerden, ist die Aktivierung des Gefühls von Ärger, das „Empor-Holen“ von Ärger über diese Verletzung der Normen, – die Empörung. Wenn wir empört sind, spüren wir die Verunsicherung nicht mehr im Vordergrund.
Daher ist für uns in diesen Fällen mit dem Empört-Sein auch die Arbeit getan. Der Verärgerung und Wut haben wir empört Ausdruck verliehen und nun ist es gut, wir haben ja schließlich anderes zu tun. Außerdem sind ja andere auch empört und damit ist die Normwidrigkeit allgemeinverbindlich festgestellt.
Und alles bleibt wie es ist, es sei denn andere kümmern sich darum. Besonders empörend ist dabei auch, dass wir ja „eigentlich“ nichts unternehmen können.
Diese Form Empörung ist eine Vermeidungsstrategie für Unsicherheitsgefühle.
Wenn wir hingegen – und das tun immer mehr Menschen – ganzheitlich und veränderungsorientiert auf die Welt blicken, ist alles immer in Veränderung, die Zukunft ist immer unsicher, alles ist im Fluss, – panta rhei (Heraklit). Auch die von uns geschaffenen Ordnungen und Normen (im weitesten Sinne), auch unsere Vorstellungen davon sind lebende Systeme und unterliegen ununterbrochener Veränderung. Das Leben ist bunt, ereignet sich und wir er-leben es. Dann ist Unvorhergesehenes aber nicht die Quelle von Unsicherheit, sondern wir haben mit diesem Blickwinkel auf die Welt Unvorhergesehenes und Unvorhersehbares immer für möglich gehalten. Wir wissen dann, das Menschen und Organisationen oft ganz anders sind und ganz anders handeln, als wir und viele andere es erwarten. Die amerikanischen Wähler lassen grüßen!
Die Reaktion eines Menschen, der im Bewusstsein ununterbrochener Veränderung auf die Welt blickt, ist dann nicht Unsicherheit und Angst, sondern eine neugierige Fokussierung dessen, was da geschieht. Er wertet nicht sofort, sondern versucht, wertfrei zu beobachten, wie sich das Thema weiterentwickelt. Ein so reagierender Mensch wird das anschließend reflektieren, seine Schlüsse daraus ziehen und entsprechend handeln. Das nenne ich eine gelassene Reaktion. Dieser Mensch ist sicher im Umgang mit Unsicherheit.
Das heißt jedoch nicht, dass bei einer gelassenen und veränderungsorientierten Sichtweise Empörung keinen Platz hätte. Auch in dieser Weltsicht hat die Empörung ihren Platz: Man wird beim Reflektieren über das Beobachtete sehr genau spüren, wo Werte und Haltungen verletzt werden oder werden könnten, für die es sich einzutreten lohnt. Diese „wirkliche“ und wirksame Empörung bleibt dann nicht stecken, sondern sie führt uns ins Handeln. Wirkliche Empörung durchdringt die Emotion des Ärgers und der Wut, sie führt zu einem Nicht-mehr-weg-sehen-können und dann zu eigenem Engagement in dem betreffenden Thema. Und dann handeln wir, – nachhaltig. Diese Empörung ist keine Vermeidungsstrategie gegen Unsicherheitsgefühle, sondern der Weg zu überzeugtem Engagement.
Wirkliche Empörung ist auch dem Gelassensten eigen, gerade der gelassene Mensch wird die schnell verfügbare und schnell wieder vergessene Empörung gut von der wirklichen und handlungsorientierten Empörung andererseits unterscheiden können.
Wenn Empörung in uns aufkommt, wenn sich uns etwas als unerhört und empörend darstellt:
Treten wir zunächst einen Schritt zurück und schauen wir uns an, was da passiert, damit wir entscheiden können, ob wir uns verunsichern lassen oder ob es Zeit ist, etwas zu unternehmen! Vielleicht ist das Geschehnis auch gar nicht so wichtig und es ist nicht lohnend, sich damit überhaupt zu befassen?!?
Dr. Nikolaus Birkl