Interview mit dem Autor und Koch Dr. phil. Malte Härtig

von Gina Ahrend

Gibt es einen Sinn des Lebens? Oder ist das Leben schlicht ein Zufallsprodukt? Und wenn es ihn gibt, was ist dann der Sinn des Lebens? Religionen, Philosophie und auch politische Ideologien suchen seit Jahrhunderten nach Antworten. Diese fallen, je nach Standpunkt, unterschiedlich aus. Die einen glauben an einen Gott oder eine höhere Ordnung, nach dem oder der sich das Leben ausrichtet, die anderen sehen das Leben als Selbstzweck und glauben an die pure Lebensfreude.

Tja, das ist ja eine der zentralen Fragen der Philosophie, oder überhaupt die zentrale Frage an das Leben, ob es einen Sinn für uns bereithält. Ich habe mir die Frage, seit ich in Japan war, nicht mehr gestellt. Irgendwann ist sie mir abhanden gekommen.

Und wenn ich mich frage, warum, dann geht es mir darum, das Leben zu leben, das Leben zu erfahren. Ich habe immer schon gerne Erkenntnisse gesammelt. Aber ob daran ein Sinn liegt? Das ist für mich persönlich eigentlich gar nicht wichtig.

Es gibt einen Satz, den ich dem Zen-Buddhismus entnommen habe, den man in der Teezeremonie findet und auch in der deutschen Alltagsweisheit: Es ist wie es ist. Sagt der Zen. Nehmen wir es so, wie es ist. Sagte etwas freier formuliert der berühmte Teemeister Rikyu. Et iss wie et iss. Sagt man z.B. in Köln.

An diesen Sätzen übe ich mich.

Du bist in Westeuropa aufgewachsen und hast dich der japanischen Kultur zugewandt. Sicher gibt es große Unterschiede in der Lebensführung, die die Menschen in West und Ost als sinnvoll erachten?

Jein. Japan ist ja eine moderne Industrienation und hat eine sehr hoch entwickelte Gesellschaft. Auf der einen Seite findet man dieselben Phänomene wie bei uns: die Suche nach Orientierung und Identität in der Tradition, das Hinterfragen des Fortschrittglaubens und einer Wachstumsökonomie.

Samenfeste, alte Sorten, alte Handwerkstechniken, usw. werden plötzlich wieder wichtig. Und gleichzeitig sind Smartphones, E-Autos und ähnliche Dinge gefragt.

Aber dahinter und dadrunter ist Japan schon sehr anders. Wenn meine japanische Vermieterin einen Baum aus dem Garten ausgrub, hat sie etwas Sake ins Loch gegossen, für die Kami-sama, die shintoistischen Wesenheiten.

Japan hat ja eine hohe Wertschätzung für das richtige Verhalten in einem recht strengen System, das für manche erdrückend ist und wenig Alternativen zulässt. Man erzählte mir, dass es eigentlich nur drinnen im Strom oder ganz draußen gibt. Da sind bei uns die Grenzen für alternative Lebenswege etwas flexibler.

Wenn ich einen Tag mit japanischen Freunden verbracht hatte, war ich am Ende des Tages müde und ausgelaugt, weil es ungewohnt und anstrengend ist, die ganze Zeit den Blick auf die Gruppe und alle darin zu lenken – und sich selbst zurückzunehmen. Das waren tolle Tage. Sie liefen nur einfach ganz anders ab als vergleichbare bei uns in Deutschland.

Als ich Japan mit dem Ende meiner Forschungszeit verlassen habe, haben meine Freunde meine Party geschmissen: Essen und Trinken mitgebracht, sich um Stimmung und Musik gekümmert. Jeder gibt alles für eine gute Zeit. Bei uns lehnt sich der Gast zurück und lässt den Gastgeber machen: Musik, Stimmung, Essen, Trinken.

Hat sich dein Blick auf „den Sinn des Lebens“ durch deine Japan-Aufenthalte verändert? Können wir etwas von den Japanern lernen?

Man kann immer etwas in einer anderen Kultur lernen, es ist aber dann einfach anders, nicht besser oder schlechter. Es gibt in Japan diese Hingabe an eine Sache, ob im Hobby- oder Profibereich, man denke an den Sushimeister, der sein Leben lang nur Sushi und niemals Ramen macht. In den Bergen begegneten mir Wanderer, die perfekt mit brandneuer Ausrüstung durch die Berge gingen. Diese Perfektion führt Produkte auf ein anderes Niveau. Ein Kaiseki-Koch sagte mir mal, der Frosch sitze sein Leben lang im selben Teich – und kenne keine anderen.

Mir gefällt sonst der Zug des ewigen Wandels und damit, zufrieden zu sein, dass sich die Dinge wiederholen…und eben sind, wie sie sind. Dieses Sich-Einlassen führt zu einer besonderen Beziehung etwa zwischen Köchen und den Gemüsen und Fischen, die sie servieren.

Malte Härtig ist gelernter Koch, promovierter Philosoph und ausgewiesener Japan-Kenner. Sein Studium führte ihn von der Frage nach Kunst und Kochen, über die Analyse der Kultur der Pommesbuden im Ruhrgebiet bis nach Japan – zur Doktorarbeit über die Einfachheit in der feinen Kaiseki-Küche Kyotos, wofür er mit der Höchstnote und zwei Preisen ausgezeichnet wurde. So erforschte er 15 Monate lang die japanische Esskultur direkt in Kyoto und erhielt vielfältige Inspirationen für unsere heimische Küche, etwa wie man die Jahreszeiten kocht, wertschätzend Fische tötet (Ikijime) oder warum Kochen schneiden ist. 2018 hat er „Kaiseki – Die Weisheit der japanischen Küche“ (mairisch Verlag) veröffentlicht, jetzt im März folgte „Von Zen und Sellerie – Unsere japanische Küche – ein philosophisches Kochbuch“ im AT Verlag, www.malte-haertig.de