Innehalten

Die Akademie der Muße hat soeben wieder „Tage des Innehaltens“ in Südtirol abgeschlossen. Der diesjährige Retreat war der zehnte derartige Rückzugszeitraum, den die Akademie der Muße in den Anfangstagen des September anbietet. Daneben gibt es noch Tage des Innehaltens im Mai und Juli eines jeden Jahres und in 2019 sogar auch in der letzten Septemberwoche. Diese Retreats erfreuen sich großer Beliebtheit, – warum eigentlich? Und was bedeutet „Innehalten“?

Das Wort Innehalten ist verwandt mit „Einhalten“ und meint Sich-Einhalt-Gebieten, Unterbrechen, Aussetzen, Verweilen, Haltmachen, Stehenbleiben; das Deutsche Nachrichten-Korpus Wortschatz nennt 24 Synonyme. Es geht um die Unterbrechung des ununterbrochenen Voranstrebens im täglichen Leben, in dem die Zukunft uns wie ein unwiderstehlicher Magnet immer weiterzieht. Was wir jetzt tun, tun wir oft, um damit dann etwas Bestimmtes zu erreichen. Der energetische Motor in uns will zu einem in der Zukunft liegenden Ziel, das bei seinem Erreichen durch ein neues Ziel abgelöst wird. So ist immer die Zukunft (obwohl sie immer unsicher ist und bleibt) das handlungsleitende Motiv: Voran! Voran! Und wir denken immer darüber nach, wie wir optimal dorthin kommen.

Innehalten unterbricht diesen Mechanismus, es hält ihn an und wendet sich der Gegenwart zu. Wir bleiben stehen, treten einen Schritt zurück, atmen durch und können damit „das, was ist“ wahrnehmen. Wir wissen aus der Neurobiologie, dass wir Menschen nicht wahrnehmen und denken gleichzeitig können. Wir nehmen entweder mit unseren Sinnen wahr oder wir denken und reflektieren über das Wahrgenommene, beides gleichzeitig ist uns nicht möglich. „Denken frisst Wahrnehmung“.

Innehalten führt uns in die Wahrnehmung der Gegenwart und in die Achtsamkeit. Innehalten ist der Vorgang, Achtsamkeit die Art und Weise der Wahrnehmung. Wir versuchen dabei mit allen Sinnen wahrzunehmen, was gerade „ist“: alles Sichtbare, alles Hörbare, alle Gerüche, alle aufkommenden Gefühle und Stimmungen … . Alles darf sein und ist zunächst einmal wertfrei da und in uns wirksam. Wir geben uns dem Augenblick hin. Es tritt eine Pause ein, wir dürfen Ruhe geben. Viele Menschen berichten, dass bei dem Versuch eines solchen Innehaltens in ihnen Unruhe aufkommt, doch diese ist keine Folge des Innehaltens, sondern das Innehalten lässt sie die im Innern vorhandene Unruhe spüren! Die Aufgabe besteht darin, einer solchen Unruhe sagen zu können: „Jetzt bin ich bei mir und Du hast jetzt zu schweigen!“ Stephen R. Covey sagte einmal sinngemäß: „Das Dringliche ist selten wesentlich und das Wesentliche ist selten dringlich.“ Wenn wir innehalten, darf auch das Dasein, die Gegenwart wesentlich werden.

Diese Gegenwart, der wir uns beim achtsamen Innehalten zuwenden, ist übrigens das einzige zeitbezogene Sinnesobjekt, das keine Angst kennt. Angst ist immer auf die Zukunft bezogen oder resultiert aus Vergangenem. Die Gegenwart ist einfach nur und Angst hat in ihr keinen Bezugspunkt.

Das Alles mögen die tieferen Gründe sein, warum sich die von unserer Akademie der Muße jetzt im zehnten Jahr angebotenen Tage des Innehaltens so großer Beliebtheit erfreuen.