In Unternehmen mehr Muße wagen!

Anselm Bilgri appelliert an Führungskräfte: Wer viel leisten soll, muss auch entspannen und durchatmen können. Gerade auch am Arbeitsplatz.

Ein Lieblingsbegriff von Managern ist „Prozesse“. Wenn etwas schief geht, müssen sie verbessert werden, und wenn alles einwandfrei läuft, dann sowieso. Kaum ein Unternehmen, ob gut oder schlecht geführt, verzichtet heute auf Exzellenzprogramme. Die produzieren Hunderte Folien und kosten Tausende Stunden Arbeitszeit – sei es direkt durch die vielen Meetings, sei es indirekt durch die Verunsicherung, die sie erzeugen. Denn jeder weiß, was meistens ihr Ziel ist: mehr Effizienz, weniger Kosten, mehr Druck. Dabei geht es auch anderes – und zwar meistens sogar viel besser.

„Wir benötigen einen für uns passenden Rahmen, der nicht nur aus Leistung bestehen darf.“

Wenn Manager Prozesse optimieren, denken sie sich Unternehmen als eine Maschine, die geölt werden muss, deren Zahnräder auszutauschen sind und deren Betriebsspannung zu erhöhen ist, um den Output zu verbessern. Zum Problem wird diese Sichtweise, wenn Unternehmen immer mehr vom Engagement, vom Wissen und von der Kreativität ihrer Mitarbeiter abhängen. Von Menschen also, die ihren Job begeistert oder frustriert machen können. Die morgens mit Freude und Ideen ins Büro gehen – oder gleichgültig und innerlich gekündigt. Die Energie ins Unternehmen bringen – oder deren Job ihnen Energie und Gesundheit raubt. Wenn Menschen ihre Arbeit als ein ständiges Beschleunigen und Verdichten erfahren, oft genug ohne Sinn und Verstand, fördert andauernde Prozessoptimierung genau das Gegenteil des ursprünglich Angestrebten. Denn wir sind keine Zahnräder, keine Prozessoren und keine Software. Wir benötigen einen für uns passenden Rahmen, der nicht nur aus Leistung bestehen darf. Dass zur An- immer auch Entspannung gehören muss, darauf hat schon der Heilige Benedikt in seiner Mönchsregel großen Wert gelegt und den Tagesablauf eingeteilt in ora und labora. Heute spricht man zwar viel von Work-Life-Balance, aber bei vielen Freizeitaktivitäten habe ich meine Zweifel, ob es sich dabei nicht doch eher um eine weitere Form von labora handelt: wer wagt denn zuzugeben: dass er faulenzt, rumhängt und einfach nichts tut?

„Momente der Muße wieder neu zu entdecken und einzuüben ist in einer beruflich wie privat so extrem beschleunigten Zeit unabdingbar für ein gesundes und Sinn-volles Leben.“

Der heute etwas antiquiert klingende Begriff der Muße meint die Freiheit von äußeren Anforderungen für eine gewisse Zeit und damit Freiraum für Kreativität, für Spiritualität, für neue Impulse. Solche Momente der Muße wieder neu zu entdecken und einzuüben ist in einer beruflich wie privat so extrem beschleunigten Zeit unabdingbar für ein gesundes und Sinn-volles Leben. Für viele unserer Kunden ist das alles andere als Müßiggang sondern oft genug harte Übung. Versuchen Sie doch mal, nur zehn Minuten still und mit geschlossenen Augen zu sitzen und an nichts zu denken! Tragen Sie sich in Outlook für eine halbe Stunde statt eines Meetings ein: „Nichts.“ Und tun Sie das dann auch. Seien Sie mutig und wagen Sie Muße! Sie werden sehen, wie gut sie Ihnen tut!

„Muße die abendländische Kultur genauso geprägt, wie das hohe Arbeit­sethos, dem sich der moderne Mensch verpflichtet fühlt.“

Wir tun ja heute so, als sei es ein Naturgesetz, dass alles immer schneller, dichter, zeit- und geldoptimierter wird. Dabei hat Muße die abendländische Kultur genauso geprägt, wie das hohe Arbeit­sethos, dem sich der moderne Mensch verpflichtet fühlt. In der Antike war das anders. Wer sich damals mit Erwerbsarbeit sein Leben verdienen musste, gehörte zur Unterschicht. Heute hingegen beziehen viele ihren Selbstwert daraus, wie wahnsinnig beschäftigt sie sind. Wenn ich aber in mir zu ruhen lerne, wenn ich meinen Wert darin sehe, was in mir ist, in meinen Gedanken, Ideen, Emotionen, wenn ich also nicht nur das sehe, was ich (geleistet) habe, sondern, was ich bin und auch, wie ich mit anderen Menschen umgehe, dann ist das gesünder. Hierfür wieder die Achtsamkeit zu schulen und aus verschiedenen spirituellen und philosophischen Traditionen Ansatzpunkte dafür aufzuzeigen, ist das Ziel unserer Akademie der Muße, um neue Zugangswege dafür zu eröffnen, was wirklich wichtig für das eigene Leben ist.

„Innerlich ruhende, ausbalancierte Menschen sind auch im Job kreativer und leistungsstärker.“

Meine Erfahrung als Prior und Geschäftsführer der Klosterbetriebe von Andechs sagt mir, dass solche innerlich ruhenden, ausbalancierten Menschen auch im Job kreativer und leistungsstärker sind. Hier sind sie als Vorbilder gefragt, die in das Unternehmen hinein wirken können und die Balance von An- und Entspannung auch im Job überzeugend praktizieren. Übersetzt in eine dieser beliebten Formeln heißt das: Management-by-Loslassen“: abschalten, sich zurücknehmen, Dinge auch mal gut sein lassen. Genau hier könnte eine kluge Führungskultur ansetzen und neben allen Anforderungen auch Freiräume zulassen oder sogar bewusst schaffen. Wieso stellen Unternehmen heute zwar hochwertige Espressoautomaten und Flipperkästen auf, während Ruheräume mit Liegen, Decken und gedämpftem Licht die ganz große Ausnahme bleiben? Wieso gehen Teams häufig in Hochseilgärten, aber nicht in die Pinakothek, die Philharmonie – oder einfach nur spazieren? Ist das naive Utopie? Oder effizienzorientiertes Personal-Management? Wenn es das wäre, könnte es meinetwegen auch so heißen auf den Folien von HR-Workshops.