Geschäftslosigkeit: eine Haltung, die unsere Gesellschaft braucht

von Dr. Georg Reider

Wissen wir eigentlich, von welchen Werten und Hoffnungen jene Menschen getragen sind, die uns in den nationalen und in europäischen Parlamenten vertreten? Denken wir daran, was die großen Konzerne und Unternehmen seit Jahrzenten motiviert? Vielleicht müssen wir es einmal ehrlich sagen, weil es uns und denen, die innerhalb dieser enormen Organisationen und Unternehmen entscheiden und arbeiten, wahrscheinlich selber nicht bewusst ist. „Es ist die Ökonomie und letztendlich das Geld“.

Zu diesem Schluss kommt der an der Universität Venedig lehrende, international als einer der bedeutendsten Kritiker und Denker anerkannte, Philosoph Giorgio Agamben.

Faszinierend am Denken und an den Anregungen Agambens ist, dass er nicht so sehr über Theorien und Konzepte nachzudenken scheint, sondern über das, was gegenwärtig geschieht. Er kritisiert alles, was das Leben unmenschlich machen könnte und weist Wege auf, die zur Menschwerdung des Menschen führen könnten. Das ist in seinen Gedanken und Augen der Sinn des Nachdenkens und der Philosophie.

In diesem Sinn prangert er z. B. die von der Wirtschaft gesteuerte Europäische Union unerbittlich an. „Die meisten Menschen wissen nicht, dass jede Entscheidung von Kommissionen getroffen wird, die zur Hälfte aus Vertretern der Großindustrie bestehen“ (Die Zeit, 2015, Nr.35, 39).

Aber, so glauben und hoffen wir mindestens, ist der innere Kern Europas nicht mehr? Sind nicht grundsätzliche Werte der Menschlichkeit, des Respektes und der Würde dort geboren und entfaltet worden? Gerade diese Feststellung leugnet nicht, dass das Beste anderer Kulturen diese Werte auch erkannt und entwickelt hat, was immer daraus geworden ist. Politik und Wirtschaft scheinen ihre Wertgebundenheit derzeit in Sonntagsreden zu preisen, in Wahlsituationen zu nutzen und sie als Begründung für die größere Bedeutung anderen gegenüber zu verwenden.

Faszinierend am Gedanken Agambens erscheint mir auch die Deutung der Technik. Sie hat für den modernen Menschen das übernommen, was früher die Sklaven erledigten. Der Mensch ist aber nicht – mehr – Herr der Technik, sondern hat jenen, die Technik planen und verwalten, vollkommen freie Hand gegeben. Dadurch ist der Knecht Herr geworden. Dieser Herr aber ist im Inneren immer noch Diener geblieben und weiß nicht „wozu sein Dienst gut ist, wenn nicht zur grenzenlosen Vermehrung des Dienstes und der Knechtschaft“ (ebendort).

Aus diesem Dilemma kommt der moderne Mensch nicht durch die Maximierung der Technik oder der Produktion, sondern durch die Haltung und die Tat der Geschäftslosigkeit. Eine wunderbare Ergänzung zur Muße und zum eigentlichen Verständnis dessen, was die Akademie der Muße soll, kann und muss. Geschäftslosigkeit bedeutet aber nicht nichts tun, sondern den unmittelbaren Zweck unseres Lebens und unserer Arbeit zu entkräften und ihnen einen tieferen Zweck zu geben. Ein Beispiel dafür ist die Dichtung. In ihr wird Sprache nicht für die Mitteilung einer Information oder eines Auftrags verwendet, sondern um die Wirklichkeit in eine tiefere und menschlichere Wahrnehmung zu rücken.

Ich glaube, dass die Tage des Innehaltens, die die Akademie der Muße jährlich dreimal anbietet, die Funktion haben, die Dimension der Geschäftslosigkeit in allem, was wir planen, leisten und hoffen, zu setzen.