Sensationsjournalismus – Auswirkungen medialer Empörung bis hin zur Destabilisierung unserer Gesellschaft

Lesen Sie im Nachgang zu unserem Salon im Café Luitpold am 08.11.2016 das Interview mit Frau Prof. Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:

Leben wir in einer Empörungsgesellschaft?

Ich denke, empört haben sich Menschen immer schon gerne und oft: über die Nachbarn, die Anderen, die Regierung, die Kirche. Durch die Digitalisierung sind allerdings die Instrumente und Reichweite der Empörung Ausdruck zu verleihen ungleich vervielfacht worden. Nicht mehr nur Journalisten enthüllen Skandale, jeder kann heute „veröffentlichen“ oder „leaken“, was Empörungspotential hat. Auf diese Weise sind die Empörungsbewegungen deutlich häufiger geworden, die Empörungsstürme oder auch Shitstorms deutlich kräftiger und die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Behauptungen und Gerüchten deutlich schwerer überprüfbar.

Was genau ist Empörung?

Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von „Erregern“, die in die öffentliche Arena eingeschleust werden und sich dort „viral“ verbreiten. Man kann Empörung gern an verschiedenen medialen Fällen diskutieren: Gina Lisa Lohfink und die „Nein heißt Nein“-Kampagne oder die Wullfs und das Bobby Car,
Herr Brüderle und sein Verhältnis zu Frauen, Markus Lanz und Sarah Wagenknecht…..

Wieso empören sich Menschen so sehr?

Ich denke, das gehört zu unserer menschlichen Grundausstattung, dass wir uns besser fühlen, wenn wir uns über andere empören und uns dabei über den anderen erheben wollen. Insbesondere die Empörung über Mächtige, die wir gern aufs Normalmaß geschrumpft sehen ist ein Motor der Empörung.
Gefährlich wird es allerdings, wenn es keine Qualitätsmaßstäbe mehr gibt für das Verbreiten von Fakten, wie das in Foren und Blogs möglich ist. Die Fakten oder Anschuldigungen, die verbreitet werden, werden nicht von Zweiten nachgeprüft, wie das im Journalismus Standard ist. Also kann man mit Gerüchten Politik machen und das ist gefährlich. Man kann am amerikanischen Wahlkampf – der schon den Begriff des „postfaktischen Zeitalters“ geprägt hat – sehen, wohin man kommt, wenn Meinungen und Gerüchte nachrecherchierte und validierte Fakten ablösen. Auch übrigens die Angstwellen beim Münchner Amoklauf, die durch die sozialen Netzwerke getriggert waren….

Was hilft gegen Empörung?

Gegen Empörungswellen und Empörungsinflation hilft Qualitätsjournalismus. Der ehemalige Intendant des ZDF Dieter Stolte hat einmal gesagt: eine gut recherchierte und valide abgesicherte und intelligent und multiperspektivisch eingeordnete Information ist für eine Gesellschaft ebenso wichtig wie sauberes Wasser. Man kann also eine Gesellschaft mit Gerüchten und falschen Schwerpunktsetzungen in der Informationsbearbeitung kontaminieren. Vergiften. Gegen Empörung hilft professioneller und von uns Bürgern ausreichend finanzierter Journalismus.

Sind Medien inzwischen noch Subjekte oder eher schon Objekte der Empörung?

Sie sind inzwischen auch Objekte der Empörung. Da es interessierte Kreise in unserem Land gibt, die Qualitätsjournalismus wie die öffentlich-rechtlichen Sender abschaffen wollen. (Diese journalistischen Einheiten, deren Aufgabe es ist, die demokratische Öffentlichkeit mit Fakten und Argumenten zu versorgen, sind von Polen über Ungarn bis in die Türkei übrigens die ersten Adressen, die geschlossen und zum Schweigen gebracht werden). Empörung braucht Propaganda. Der Feind der Propaganda ist die recherchierte und eingeordnete Information!

Was ist Ihr persönliches Rezept gegen Empörung in Ihrem persönlichen Umfeld?

Wenn ich etwas lese oder höre, was mich emotionalisieren soll, frage ich: Stimmt das? Wer hat welches Interesse an dieser Information? Was würde der Beschuldigte selber sagen? Man kann zum Beispiel den ganzen „Fall Edathy“ , über den sich alle sehr empört haben auch mit der Brille lesen: wer hatte ein Interesse, den Vorsitzenden des parlamentarischen NSA-Ausschusses zum Auswandern zu bringen…….was macht der Ausschuss eigentlich heute? Wen hören die Amerikaner heute noch ab? Ist mit der Empörung auch das Thema verschwunden? Hat es an Relevanz verloren?

Interview: Gerd Henghuber