Mindfulness – was Führungskräfte davon haben

„Führen in Achtsamkeit“ ist eines der erfolgreichsten Formate der Akademie der Muße. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass eine Führungskraft Gespür für die Menschen hat, die sie führt. Ist es aber nicht. Anselm Bilgri erklärt, was Achtsamkeit im Führungsalltag ausmacht.

Der Begriff „Achtsamkeit“ (engl. mindfulness) ist seit einiger Zeit insbesondere durch den Einsatz im Rahmen verschiedener Psychotherapiemethoden bekannt geworden. Ursprünglich  stammt Achtsamkeit als spirituelle Haltung vor allem aus der buddhistischen Lehre und Meditationspraxis.

Es handelt sich um eine Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand. Achtsamkeit kann auch eine spezielle Persönlichkeitseigenschaft bezeichnen oder eine Methode zur Verminderung von psychisch verursachtem Leiden. Jon Kabat-Zinn, ein US-amerikanischer Molekularbiologe, Arzt und Begründer einer anerkannten Burn-out-Therapie, die sich als eine auf Achtsamkeit beruhende Stressreduzierung (MBSR: mindfullness based stress-reduction) bezeichnet, definiert den Zustand der Achtsamkeit als eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die sich auf den gegenwärtigen Augenblick bezieht, und diesem, ohne zu werten, „gegenübersteht“.  Achtsamkeit wird aber nicht nur in der Stress- Therapie propagiert, sie ist auch ein wesentliches Element eines systemischen Führungsansatzes,  wie er vor allem von Fritz B. Simon vertreten wird.

„Achtsamkeit muss für Führungskräfte attraktiv gemacht werden.“

Zur Praxis  der Achtsamkeit gehören folgende Eigenschaften, die sie für Führungskräfte attraktiv machen könnten:

– Der Dreischritt: Beobachten – Reflektieren – Entscheiden
– Vermeiden von sofortigen Bewertungen des Beobachteten
– Fokussierung auf die Gegenwart
‚- Stressreduktion.

„Eigentlich ist aber nur die Gegenwart in Zeit und Ort wichtig. die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft ist ungewiss.

Die mit der Achtsamkeit einhergehende „Präsenz“ bedeutet ein „Ganz-da-sein“ im jeweiligen Moment. Das ist gar nicht so einfach: Normalerweise schweifen wir mit Gedanken in andere Räume und Zeiten, während wir eine Handlung ausführen: wir sind in einem Gespräch und hören mit einem Ohr zu, während ein Teil unseres Gehirns sich schon mit der Frage beschäftigt,  was wir als Nächstes tun werden. Eigentlich ist aber nur die Gegenwart in Zeit und Ort wichtig: Vergangenheit ist vorbei und Zukunft ist per se ungewiss. Bei Entscheidungen, die wir zu treffen haben, klammern wir uns meist an vergangene Erfolge und hoffen auf zukünftige. Aber bei allen Entscheidungen werden wir beeinträchtigt von der allseits bekannten Unmöglichkeit eines Blicks in die Zukunft und der Unmöglichkeit eines Blicks auf das, was zur selben Zeit  an anderem Ort passiert.

„Achtsame Entscheider verabschieden sich von der Vorstellung, „richtig“ oder gar „rational“ entscheiden zu können.“

Achtsame Entscheider verabschieden sich von der Vorstellung, „richtig“ oder gar „rational“ entscheiden zu können, und akzeptieren, dass ihrer Entscheidung nur das von ihnen Beobachtete und dann Reflektierte zugrunde liegen kann. Dies führt auch zu einer Veränderung der in einem Unternehmen herrschenden Fehlerkultur. Es geht dann nicht um die Beantwortung der Frage „Wer ist schuld?“ sondern nur darum, nach dem achtsamen Beobachten neu eingetretener Umstände, erneut zu reflektieren und neue Entscheidungen zu treffen. Wir lernen nur aus Unerwartetem! Bei einer solchen Sichtweise wird es wichtig, abweichende Entwicklungen möglichst früh zu erkennen: „Hinschauen, nicht wegschauen!“ und „Fail early and learn quickly!“ sind passende Leitsätze für achtsame Führungskräfte, meint der systemische Coach Nikolaus Birkl.

„Achtsame Führungskräfte sind fähig, offen zu sein für die Einnahme auch anderer Blickwinkel – auch in Krisen.“

Achtsame Führungskräfte sind fähig, sowohl in Entscheidungssituationen als auch in Krisen und im Umgang mit Mitarbeitern, offen zu sein für die Einnahme auch anderer Blickwinkel auf die Situation und damit auch ein Gespür für die subjektiven Wirklichkeiten anderer zu entwickeln. Wenn Führungskräfte sich selbst wahrnehmen können, dann können sie auch die anderen um sich herum wahrnehmen. Dies zu ermöglichen und zu trainieren, versuchen wir in der „Akademie der Muße“.

„Achtsame Führungskräfte verzichten darauf, sich durch Vorannahmen und Wertungen zu beschränken.“

Achtsames Wahrnehmen führt dazu, sich der Vielfalt der vorhanden Individualitäten (bei den Mitarbeitern) und der Alternativen (bei den anstehenden Entscheidungen) bewusst zu werden. Achtsame Führungskräfte verzichten darauf, sich durch Vorannahmen zu beschränken (zu werten), indem man schon „weiß“, wie Menschen und Dinge sind. Ihnen sind innere Stimmen suspekt, die sagen: „Ist doch klar!“, „Der/die ist eben so“, „Das ist doch alternativlos.“

Dabei ist jedoch klar, dass es bei achtsamem Führen nicht darum geht, es allen recht zu machen, lieb zu allen zu sein. Ein achtsamer Entscheider, der sich ein möglichst buntes Bild der Situation verschafft hat,  ist vielmehr ein kraftvoller Entscheider, der nicht allen das Gleiche, sondern jedem das Seine gibt und dies dann achtsam kommuniziert.

„Achtsame Führungskräfte führen mit Sog, nicht mit Druck.“

Eine solche Unternehmenskultur der Achtsamkeit führt zur Aufmerksamkeit für das was ist (nicht für das was sein soll oder sein darf), hält den Menschen in ständigem Kontakt mit sich selbst und mit den Menschen und Organisationen um sich herum. Der Achtsame kennt nicht nur seine Erfahrung, die er mitbringt und die sachlich zu berücksichtigenden Umstände, sondern er spürt auch die eigenen und fremden Emotionen im Zusammenhang mit seiner Führungsaufgabe. Er ist und wirkt authentisch. Man will mit ihm gehen, ihm folgen, mitmachen. Das ist „Führen mit Sog“, nicht „Führen mit Druck“.

Achtsamkeit ist durch das Phänomen des burn-outs als Haltung einer prophylaktischen Führungskultur zu Ehren gekommen. Burn-out entsteht durch permanenten stress, der durch das Gefühl dauernder Über- oder Unterforderung hervorgerufen wird. Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und den Mitmenschen reduziert die Möglichkeit, dass der oft nicht zu vermeidende Stress im beruflichen Alltag und Miteinander sich zu Gefährdungen der psychischen und physischen Gesundheit  entwickelt. Achtsamkeit ist aber darüber hinaus eine Haltung, die es erleichtert, selbstbestimmt zu leben und andere ebenso leben zu lassen.